Ausgabe 2/2022
Herausgeber: Berliner Rechtszeitschrift e.V.
Schriftleitung: Alexander Kloth, Yola Kretschmann, Belisa Miller, Sabrina Seikh, Hannes Weigl, Julian Westphal
Redaktion: Rebecca Apel, Mia Barnikel, Moritz Breckwoldt, Yeseo Choi, Cosima Dengler, Elif Dilek, Leah Gölz, Magnus Habighorst, Nural Hizal, Diyar Kiliç, Laetizia Krigar, Justus Lassmann, Lina Lautenbach, Ruth Lipka, Julian Lochen, Charles Müller, Antonia Novakovic, Lionie Offenbach, Kaan Oğurlu, David Reichenheim, Silas Schimmel, Paula Schmidt, Paula Schöber, Gabriel Schrieber, Jiline Schucht, Antonia Schwarz, Valentin Stojiljkovic, David Wellstein, Linus Wendler, Utku Yilmaz
Wissenschaftlicher Beirat: Univ.-Prof. Dr. Christian Armbrüster, Univ.-Prof. Dr. Helmut Philipp Aust, Prof. Dr. Burkhard Breig, Univ.-Prof. Dr. Christian Calliess, LL.M. Eur, Univ.-Prof. Dr. Ignacio Czeguhn, Univ.-Prof. Dr. Kirstin Drenkhahn, Univ.-Prof. Dr. Katharina de la Durantaye, LL.M. (Yale), Univ.-Prof. Dr. Andreas Engert, LL.M. (Univ. Chicago), Dr. Andreas Fijal, Univ.-Prof. Dr. Johannes W. Flume, Univ.-Prof. Dr. Helmut Grothe, Prof. Dr. Thomas Grützner, Univ.-Prof. Dr. Felix Hartmann, LL. M. (Harvard), Univ.-Prof. Dr. Markus Heintzen, Prof. Dr. Peter Kreutz, Univ.-Prof. Dr. Heike Krieger, Prof. Dr. Bertram Lomfeld, Univ.-Prof. Dr. Cosima Möller, Univ.-Prof. Dr. Carsten Momsen, Univ.-Prof. Dr. Christine Morgenstern, Univ.-Prof. Dr. Olaf Muthorst, Dr. Hilmar Odemer, Prof. Dr. Bettina Rentsch, LL.M. (Michigan), Univ.-Prof. a. D. Dr. Helmut Schirmer, Univ.-Prof. Dr. Gerhard Seher, Dr. Michael Sommerfeld, Prof. Dr. Björn Steinrötter, Prof. Dr. Maik Wolf, Prof. Dr. Johanna Wolff, LL.M. eur. (KCL)
Zu Beginn des Jahres freute sich die Redaktion nicht nur über den dritten Geburtstag der BRZ, sondern insbesondere auch darüber, dass dieser endlich wieder in Präsenz gefeiert werden konnte. Dabei gab es nicht nur den Geburtstag, sondern auch die Veröffentlichung der Vorausgabe (1/2022) zu feiern – bei der neben vielen Redaktionsmitgliedern erfreulicherweise auch wieder einige der Autor*innen und Beiratsmitglieder sowie Vertreter unserer Kooperationspartner zu Gast waren. Nach diesem viel-versprechenden Start in das Jahr 2022 freuen wir uns nun, Ihnen die Ausgabe 2/2022 zu präsentieren. Dabei hatte die Redaktion erneut die Qual der Wahl: Wieder erreichten uns viele exzellente Beiträge aus ganz Deutschland und darüber hinaus, sodass die Auswahl entsprechend schwer fiel.
Über die Veröffentlichung der besten Neueinsendungen hinaus freuen wir uns außerdem, neben dem Gewinnerbeitrag unseres Schreibwettbewerbs zur „Digitalisierung im Recht“, der bereits in der Ausgabe 1/2022 abgedruckt war, nun auch die hervorragenden Beiträge von Jakob Feddersen und Adrian Kaufmann abdrucken zu dürfen, die auf den Plätzen zwei und drei gelandet (und im Rahmen der Veröffentlichung der Ausgabe 1/2022 bereits ausgezeichnet worden) waren.
Eingeleitet wird die Ausgabe aber wieder mit einem Editorial. In diesem nimmt unsere Redakteurin Laetizia Krigar den Entwurf der EU-Kommission für eine Richtlinie zur Corporate Sustainability Due Diligence in den Blick. Dabei lobt sie, dass der Entwurf eine Ausweitung der lieferkettenbezogenen Sorgfaltspflichten mit Blick auf upstream-Aktivitäten vorsieht und somit auf eine echte Effektuierung der Durchsetzung von Menschenrechtsstandards hoffen lässt – gerade auch im Vergleich zum insoweit eher zahmen, erst jüngst verabschiedeten deutschen LkSG. Daneben übt sie aber auch Kritik, etwa mit Blick auf die rechtsunsichere und kaum handhabbare Ausweitung der Pflichten auch mit Blick auf downstream-Aktivitäten. Sie kommt somit zu einem geteilten Fazit, begrüßt aber grundsätzlich die nun auch auf EU-Ebene einsetzenden Bemühungen.
Nachdem in den letzten Ausgaben der BRZ jeweils Beiträge aus der Lehre enthalten waren, steht zu Beginn dieses Heftes erstmals ein Beitrag aus der Praxis: Rechtsanwalt Dr. Jakob Degen und Rechtsreferendarin Kristin Dortans von unserem Kooperationspartner RAUE brechen eine Lanze für das Arbeitsrecht und stellen das Rechtsgebiet anhand besonders skurriler Fälle vor, die so wohl nur das Leben zu schreiben vermag.
Statt mit arbeitsrechtlichen Fragestellungen beschäftigt sich Helena Ferber im Anschluss mit dem Einsatzes von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Unternehmensleitung. Im Fokus des Beitrages stehen die Haftungsrisiken des Vorstands einer AG, wenn die KI entgegen bestehender ethischer Leitlinien verwendet wird. Dabei können nach Auffassung der Autorin nach derzeit geltendem Recht nur eindeutige Ermessensüberschreitungen des Vorstands dessen Haftung begründen.
Den Aufschlag im öffentlichen Recht macht mit Jakob Feddersen einer der Gewinner des BRZ-Schreibwettbewerbs „Digitalisierung im Recht“. Er setzt sich in seinem Beitrag kritisch mit den Bemühungen der EU-Kommission auseinander, den Steuervermeidungspraktiken großer Digital-konzerne mithilfe des EU-Beihilfenrechts Herr zu werden. Im Ergebnis spricht er sich gegen diesen Ansatz aus, da dieser das Instrument der Beihilfenkontrolle überspanne, und empfiehlt stattdessen eine Lösung über steuerrechtliche Regulierung.
Auch der zweite öffentlich-rechtliche Beitrag stammt aus dem BRZ-Schreibwettbewerb. Adrian Kaufmann geht in seinem Beitrag der Frage nach der datenschutzrechtlichen Verantwortlichkeit im Zusammenhang mit sog. Blockchains nach. Dabei identifiziert er ein Spannungsverhältnis zwischen der dezentralen Blockchaintechnologie einerseits und dem auf zentrale Verantwortlichkeit angelegten europäischen Datenschutzrecht andererseits, welches sich im Ergebnis aber auf Grundlage der bestehenden Regelungen auflösen lasse.
Im Strafrecht widmet sich Jan Breede zentralen Grundfragen des Allgemeinen Teils. Unter dem Titel „Die einverständliche Fremdgefährdung“ untersucht er zunächst, ob es sich bei dieser um eine gegenüber der „eigenverantwortlichen Selbstgefährdung“ eigenständige Rechtsfigur handelt, und analysiert im Anschluss ihre rechtliche Behandlung. Nach Begründung der dogmatischen Eigen-ständigkeit der einverständlichen Fremdgefährdung und Erarbeitung eines klaren Abgrenzungskri-teriums spricht er sich dabei – jedenfalls de lege lata – für die Behandlung der einverständlichen Fremdgefährdung nach Einwilligungskriterien aus, deutet aber auch Perspektiven für eine Reform de lege ferenda an.
Wie schon die vorherige schließt auch diese Ausgabe mit zwei Beiträgen aus den Grundlagen des Rechts. Den Anfang macht hier Jann Maatz mit seinem Beitrag zu “Willensfreiheit und Privatrecht”. Darin geht er aus Sicht des Zivilrechts der bis dato vor allem mit Blick auf das Strafrecht untersuchten Frage nach, ob die Implikation des willensfreien Menschens – die letztlich die Grundlage der zivilrechtlichen Privatautonomie bildet – gerechtfertigt ist. Hierzu stellt er zunächst die Rolle der Privatautonomie im Vertrags- und im Haftungsrecht dar, reflektiert von dieser Warte aus die Bedeutung der Willensfreiheit in Philosophie und Recht und kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass die Willensfreiheit notwendige Bedingung für das Privatrecht und das Recht als solches sei – die notfalls fingiert werden müsse.
Den Schlusspunkt setzt Charles E. Müller mit seinem Beitrag über den Einfluss der Lehre Rudolf von Jherings auf § 906 BGB. Der dieser Norm zugrunde liegende Nutzungskonflikt der Eigentümer zweier benachbarter Grundstücke wird mit Blick auf das römische Recht und die darauf beruhenden (aber auch darüber hinausgehenden) Arbeiten Jherings untersucht. Dabei stellt sich heraus, dass Jhering erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung von § 906 BGB hatte, wenn er letztlich auch nicht selbst der Kommission zur Ausarbeitung des BGB angehörte.
Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre.
Alexander Kloth, Yola Kretschmann, Belisa Miller, Sabrina Seikh, Hannes Weigl und Julian Westphal
Verdient das „Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz“ bald seinen Namen?
von Laetizia Krigar
Beiträge
Aus der Praxis
Neben der provokanten Frage, ob man sich als Arbeitsrechtler für die dunkle (Arbeitgeberanwalt) oder die helle (Arbeitnehmeranwalt) Seite der Macht entschieden habe, folgt im Anschluss häufig: Warum überhaupt Arbeitsrecht? Der folgende Beitrag versucht mit einer anekdotischen Führung durch die Arbeitswelt, eine Antwort zu liefern und die Begeisterung der Autoren für das Arbeitsrecht zu vermitteln.
Zivilrecht
Eine künstliche Intelligenz als Vorstandsmitglied – hiermit machte im Jahr 2014 eine Aktiengesellschaft aus Hongkong Schlagzeilen. Zwar ist dies de lege lata in Deutschland nicht möglich; dem Hinzuziehen von künstlicher Intelligenz zur Unterstützung der Entscheidungsfindung steht jedoch nach deutschem Aktienrecht nichts entgegen. Mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz geht allerdings stets ein Risiko diskriminierender Entscheidungspraktiken einher. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, ob für den Vorstand einer Aktiengesellschaft ein Haftungsrisiko besteht, wenn die von ihm eingesetzte KI eine diskriminierende Entscheidungspraxis entwickelt.
Öffentliches Recht
Der Beitrag nimmt verschiedene EU–beihilfenrechtliche Verfahren, die die Kommission gegen Steuervermeidungspraktiken globaler Digitalkonzerne angestrengt hat, zum Anlass, einen eingehenderen Blick auf das Spannungsfeld von EU–Beihilfenverbot und nationalem Steuerrecht zu werfen. Ausgehend von der Darstellung, wie Internetgiganten untereinander konkurrierende nationale Steuersysteme gezielt ausnutzen, werden einige dogmatische Neuerungen in der Auslegung des Art. 107 AEUV herausgearbeitet, durch welche das Beihilfenverbot in wenigen Jahren zu einer wichtigen europäischen Waffe gegen Steuervermeidung herangereift ist. Anschließend wird diese Rechtsentwicklung unter Berücksichtigung der kompetenziellen Grenzen des EU–Vertragswerks sowie nationaler Integrationsvorbehalte kritisch beleuchtet. Hierauf aufbauend spricht sich der Beitrag gegen eine Überdehnung des Beihilfenverbotes aus und schließt mit einem Plädoyer für weitergehende europäische Steuerrechtsharmonisierung, da aggressiver Steuerplanung der Digitalunternehmen nur auf diese Weisenachhaltig beizukommen ist.
Den Verantwortlichen für den Datenschutz zu bestimmen, ist nicht nur für die Datenschutzbehörden und die Betroffenen wichtig, sondern auch für die Zukunft der Blockchain–Technologie. Etwaige Innovationsbremsen können nur dann von Entwicklern und der Politik gelöst werden, wenn Rechtssicherheit darüber besteht, wer nach den derzeitigen technischen und rechtlichen Gegebenheiten die datenschutzrechtliche Verantwortung trägt. Diese Arbeit soll hierzu beitragen, indem sie nach einem kurzen Blick auf die Grundlagen der Blockchain–Technologie die gegenwärtige Diskussion über die Person des Verantwortlichen zusammenfasst und unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des EuGH die verantwortlichen Personen ermittelt. Dabei soll der Blick allein auf die öffentlichen, zulassungsfreien Blockchains gerichtet werden, da bei ihnen die Dezentralität und damit auch das Spannungsfeld zum Datenschutzrecht am stärksten ausgeprägt ist.
Strafrecht
Die einverständliche Fremdgefährdung ist ein Streitthema im Allgemeinen Teil des Strafrechts, das sich partout weigert, gelöst zu werden. Das liegt nicht nur an einer zweifelhaften Rechtsprechung, sondern auch an einer lückenhaften Gesetzgebung. Weil zugehörige Fälle wieder vermehrt Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen werden (Stichwort: gemeinsame Risikounternehmungen), bleibt der Problembereich von aktueller Relevanz. Schnittmengen ergeben sich dabei nicht nur zur eigenverantwortlichen Selbstgefährdung, sondern auch zur Einwilligung und damit den §§ 216, 228 StGB. Ein Verständnis der Positionen rund um die einverständliche Fremdgefährdung hilft daher auch bei der Orientierung in diesen angrenzenden Gebieten. Gleichzeitig soll die Abhandlung neue Gründe für die Regelungsbedürftigkeit aufzeigen.
Grundlagen des Rechts
Das Bürgerliche Gesetzbuch ist durchdrungen von Prinzipien. Das wichtigste Prinzip ist wohl jenes der Privatautonomie. Für die Privatautonomie wird die Fähigkeit des Einzelnen, seinen Willen frei zu bilden impliziert und nur in Ausnahmefällen ausgeschlossen. Ob die Implikation des willensfreien Menschen gerechtfertigt ist, wird seit jeher von Deterministen, vornehmlich aus der Philosophie, bestritten. Hierzu gesellen sich nun auch seit Ende der 70er–Jahre Neurowissenschaftler und fordern zugleich einen radikalen Umbruch unserer Rechtsordnung. Deterministische Thesen können jedoch aus vielerlei Gesichtspunkten nicht überzeugen.
Das römische Recht bildet die Grundlage moderner Privatrechtsordnungen innerhalb und außerhalb Europas. Sein Erfolg bis in das Kodifikationszeitalter hinein beruht indes nicht nur auf der Übernahme antiker Rechtssätze, sondern auch auf einem kritischen Umgang mit der Überlieferung und der Fortentwicklung der dort vorgefundenen Rechtsmeinungen. Zu den wichtigsten Vertretern der Privatrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts zählt der deutsche Rechtsgelehrte Rudolf von Jhering (1818–1892), der sich ganz in diesem Sinne gegen einen „civilistischen Mumien–Cultus“ aussprach und das römische Recht gemäß seinem Wahlspruch „durch das römische Recht über dasselbe hinaus“ zur Zeit der beginnenden Industrialisierung mit neuen Erfordernissen in Einklang brachte. Am Beispiel der Entstehung des nachbarrechtlichen Immissionsschutzes lässt sich ein rechtswissenschaftlicher Diskurs nachzeichnen, der im römischen Altertum während des letzten vorchristlichen Jahrhunderts seinen Anfang nimmt, der Fortsetzung findet in der behutsamen Prüfung und Weiterentwicklung durch Jhering und dessen Ergebnis endlich in § 906 BGB kodifiziert, aber auch in anderen Ländern wahrgenommen wird. So entsteht ein Gesamtbild, das schließlich auch die Verwandtschaft der europäischen Kodifikationen zeigt.
Die Gesamtausgabe der BRZ 2/2022 finden Sie hier.